Manchmal tun sich seltsame Dinge in unserer Nachbarschaft, ohne dass wir lange Zeit davon erfahren. Uns ging es so, als ich am letzten Samstag meine Tageszeitung aufschlug, und wir unsere nette Nachbarin, die nur drei Häuser weiter wohnt, in ungewöhnlicher Umgebung erkannten. Was es damit auf sich hat, geht schon aus der Überschrift dieses Beitrags hervor.
Der folgende Artikel ist ein Gastbeitrag von Andreas Franke (Nürnberger Nachrichten). Vielen Dank dafür! Ebenfalls herzlichen Dank sage ich an Michaela Kohlbeck, die mir die Erlaubnis erteilt hat, ihre Fotos zu verwenden.
Idylle pur auf der Alpe „Kleines Melchtal“ in der Zentralschweiz. Dies ist – für zwei Monate im Jahr – der Arbeitsplatz der Nürnberger Landwirtin Michaela Kohlbeck. Hier oben ist sie seit Jahren im Sommer für 56 Tiere sowie das Käsen und Buttermachen verantwortlich. Die Alpe gehört zwei Familien.
Um 4.45 Uhr klingelt in der Hütte der Wecker. Zeit zum Aufstehen. Als Erstes wendet Michaela Kohlbeck die zwei Laib Käse, die sie in Arbeit hat. Dann trennt die Älplerin auf Zeit die Milch vom Vorabend für die Butter. „Anschließend gehe ich in den Stall und begrüße die Tiere, mache sauber und melke die Kühe.“ Danach kommen die Tiere auf die Weide.
Ein neuer Tag auf der Alp „Kleines Melchtal“ beginnt. Die Landwirtin aus Nürnberg startet immer mit dem gleichen Ritual. Die geräumige Hütte mit Strom, Dusche und warmem Wasser sowie Stall liegt auf 1550 Meter Höhe in der Zentralschweiz. Für zwei Monate im Jahr, im Juli und August, zieht sich die 39-Jährige in die fernen Berge zurück. Ganz allein. Ihr Mann und die zwei Söhne (15 und 18 Jahre alt) bleiben daheim in Nürnberg-Katzwang.
„Zeit für mich“ – Auszeit auf der Schweizer Alp
„Das ist mein Ausgleich. Da habe ich Zeit für mich. Von den Kühen kann man sehr viel Gelassenheit lernen“, sagt Michaela Kohlbeck. 26 Milchkühe sowie 30 Rinder und Kälber muss sie hüten. Unterstützung bekommt sie dabei von ihrer Appenzeller Hündin „Finya“.
Wenn Michaela Kohlbeck von ihrer Zeit auf der Alpe erzählt, wechselt sie immer ein wenig vom Fränkischen in einen leicht Schweizer Dialekt. „Wirklich?“, fragt sie, und lacht. Dabei gebe sie doch nur ihrer Hündin Befehle auf „Schwyzerdütsch“.
Die gelernte Diätassistentin hat nach dem Erziehungsurlaub noch einmal beruflich umgesattelt und ist Landwirtin mit dem Schwerpunkt Milchwirtschaft geworden. Daheim in Mittelfranken arbeitet sie das Jahr über auf einem Biolandhof in der Käserei. Auf 450-Euro-Basis.
Auszeit auf der Schweizer Alp ist immer auch harte Arbeit
Länger als zwei Monate kann sie daher nicht weg im Jahr. „Man braucht einen toleranten Chef und eine tolerante Familie“, betont sie. Als die Jungs noch kleiner waren, hat die Oma daheim mit ausgeholfen, wenn sie auf der Alp war. Jetzt sind sie schon groß, kommen aber zusammen mit dem Papa in den Ferien immer noch die Mama in der Hütte besuchen.
„Mein Aha-Erlebnis hatte ich 2006“, sagt Michaela Kohlbeck. Vor zehn Jahren versuchte sie sich das erste Mal als Älplerin. Damals noch in Graubünden. „Ich bin gerne in den Bergen und mag Tiere. Außerdem mag ich harte Arbeit.“ Und davon gibt es viel auf einer Alm.
Zwischen 7 und 7.30 Uhr und nach einem Frühstück beginnt sie mit dem Käsen. Dazu wird die Milch zunächst auf 31 Grad erwärmt. Anschließend fügt sie Bakterien und Lab hinzu. Das Ganze steht dann für eine halbe Stunde. „Danach schneide ich den Bruch“, erläutert Kohlbeck. Das Rührwerk vermischt die Masse anschließend für eine Stunde, ehe sie in einem großen Kupferkessel über dem Feuer „unter stetigem Rühren“ auf 48 Grad erhitzt wird. „Dann rühre ich die Masse noch einmal zehn Minuten an und fülle sie in zwei Formen.“
Etwa 120 Laib Käse produziert die Älplerin in den zwei Monaten auf der Hütte. Der Käse — jeder wiegt zwischen acht und zwölf Kilogramm – wird von den zwei Bauersfamilien, denen die Alm gehört, abgeholt und unten im Dorf im Käsekeller gelagert. „Alle zwei Tage mache ich auch Butter, drei bis vier Kilo“, sagt sie. „Die ist aber nur zum Eigenbedarf der Bauern.“ Die Stube ist zugleich Sennerei. Touristen, die sich eh nur selten dorthin verirren, werden nicht bewirtet.
Wenn Michaela Kohlbeck so erzählt, dann leuchten ihre Augen. Sie holt die Zeitschrift zalp aus der Tasche. Titel: „Sieben Sinne“. Das Magazin erscheint einmal im Jahr — und kommt Ende Juli hoch auf die Alp. Das Heft sieht so schön aus wie eine Landlust für Älpler. Doch man darf sich nicht täuschen. Das Leben dort ist hart.
Davon zeugt auch die Statistik des „Alpofons“ der Interessengemeinschaft IG Alp. Das ist so etwas wie ein Not- und Sorgentelefon, wenn dringend eine Älplerin oder ein Älpler gesucht wird, weil etwa jemand krank geworden oder abgesprungen ist. Oder einfach den Krempel hinschmeißt, weil das Heimweh zu groß, der Konflikt im Team oder mit dem Alpmeister zu heftig geworden ist. Es gibt aber auch Alkoholprobleme, weist die Jahresstatistik aus, falsche „Selbsteinschätzung“ oder „fehlenden Durchhaltewillen“.
Die Auszeit auf der Schweizer Alp zeigt auch Grenzen
„Man kommt dort oben schon an seine körperlichen und psychischen Grenzen“, betont Michaela Kohlbeck. „Aber man wächst auch teilweise über sich hinaus.“ Sie hatte auch schon den Moment, wo sie alles hinschmeißen und weg wollte. Da sind über Nacht zwei tote Kälber im Stall zur Welt gekommen. „Ich habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich nichts gehört habe und nicht helfen konnte“, erinnert sie sich.
Der Bauer habe sie dann beruhigt und erklärt, dass sie auch dann nichts hätte machen können für die Kälbchen. „Am nächsten Tag dann, wenn die Sonne wieder über den Bergen aufgeht, schöpfst du neue Kraft und siehst wieder die schönen Momente.“
Ihr Mann sage immer, so Kohlbeck, dass sie oben auf der Alp anders sei. Nicht so entspannt wie daheim in Nürnberg. „Ich habe halt die Verantwortung, die mir die Bauern für ihre Tiere übertragen“, versucht sie eine Erklärung. Sie mache das freiwillig. „Keiner zwingt mich dazu! Es gibt den Spruch unter den Älplern: Entweder man geht ein Mal und nie wieder hoch, oder immer wieder.“ Michaela Kohlbeck entscheidet jedes Jahr aufs Neue, ob sie wieder hochgeht. 2016 ist bereits fest gebucht.
Arbeit und Urlaub – Auszeit auf der Schweizer Alp
Für sie seien die acht Wochen auf der Alp eine Mischung aus Arbeit und Urlaub. Mit der Bezahlung — zum Lohn gehört auch eine große Portion Käse — ist sie zufrieden. Laut der Bündner Richtlohntabelle erhält eine verantwortliche Person auf der Melkalp pro Tag zwischen 155 und 210 Schweizer Franken. Kohlbeck betont aber, dass ihr Lohn darunter liege.
„Man lernt auf der Alp auch den Komfort daheim zu schätzen“, betont sie. Zwar nimmt sie sich am Anfang Lebensmittel mit auf die Hütte, die mit dem Auto erreichbar ist. Ein Brotbackautomat gehört zu ihrer Ausrüstung. Die Bauern bringen Obst und Gemüse mit. „Doch ansonsten versuche ich, mit dem zu leben, was vor Ort ist“, sagt die Vegetarierin. Na ja, dazu gehören auch Milch und Käse.
Meist gegen Mittag ist Kohlbeck fertig mit dem Käsen. Nach einer Pause schaut sie wieder nach den Tieren, die verstreut auf der Alp sind. Nach einem Kaffee kommt das Abendmelken. Dann gibt es noch ein festes Ritual: den Alpsegen oder Betruf. In Form eines Sprechgesangs wird durch einen alten Holztrichter in alle vier Himmelsrichtungen darum gebeten, „alles, was auf dieser Alp ischt und dazugehört, zu behüätä und zu bewahre“. Der Tag auf der Alp endet dann für Michaela Kohlbeck gegen 22 Uhr. Dann legt sie sich schlafen, um Kraft zu schöpfen für den nächsten Tag.
Weiterführende Informationen zur Auszeit auf der Schweizer Alp findet man im Internet bei der IG-Alp: www.ig-alp.org
Auch die Kühe genießen die Auszeit auf der Schweizer Alp
Vielleicht interessieren Sie sich auch für folgende Beiträge aus der Schweiz
– Capuns – Tolle Mangold-Rollen – Eine Spezialität aus Graubünden
– Älplermagronen mit Apfelkompott
– Garnelen mit Curry, Mango und Avocado am Reissalat Silvester 2011 in Arosa
Hallo schönen guten Abend, ich möchte gerne das mal probieren, ich liebe Natur und Tiere, ich habe so was noch nie gemacht, aber ich liebe hart arbeit und ich bitte mir helfen wie ich DAS machen kann und mit wem soll ich mich im kontakt setzen. was braucht man dafür.
LG
Gheis
Bitte lesen Sie den Artikel gründlich.
Es gibt einen Hinweis „Weiterführende Informationen…“
Und es gibt in den Kommentaren einen Hinweis von Michaela wohin man sich wenden kann…
Hallo Michaela, auch wenn es schon ein paar Jahre her ist, dass du diesen Artikel geschrieben hast, so ist es für mich aktueller denn je! Ich suche nun schon seit geraumer Zeit einen Platz auf einer Alm wie `deiner´. Ich möchte dort für 1-2 Wochen mitarbeiten und das einfache, harte Leben in der Bergen spüren.
Kannst Du mir einen Tip geben, wo ich so einen `Urlaubs-Platz´ bekommen kann? … oder würdest vielleicht sogar Du mich auf Deiner Alp willkommen heißen?
Hallo Gaby, auf der website http://www.zalp.ch findet sich alles relevante zum Thema Alpstellen. Da gibt es eine Stellenbörse wo du delber inserieren kannst oder siehst wo jemand gesucht wird, weltweit. Ich bin nach sechs Sommern nicht mehr auf dieser Alp. Viel Erfolg und alles Gute
Michaela
Ich interessiere mich für eine Auszeit auf einer Schweizer Alp für 2 – 3 Monate. Ich leide unter Schizophrenie und habe Metastasen einer Brustkrebserkrankung in mir. Ich verspreche mir davon, die Lebenskraft neu spüren und ergreifen zu können.
Es ist einfach nur erstaunlich, Jahr für Jahr 2 Monate lang auf die Alm zu steigen und sich um die Landwirtschaft zu kümmern. Großen Respekt meinerseits, so eine Tat kann man nur bewundern. Eine wirklich taffe Frau. Im Ursprung aller Dinge finden wir meistens unser Glück.
Besonders gut finde ich diesen Bezug zur Natur. Es ist kein Leben wie in der Stadt, wo die Natur geduldet wird und an unsere Bedürfnisse angepasst wird. Auf der Alm ist es ein Zusammenleben mit der Natur, man passt sich an die Natur an und das ist gut so!
Wo könnte man das alles besser machen als in der Schweiz? In der Schweiz ist die unberührte Natur zu Hause und fühlt sich wohl. Am Ende des Artikels habe ich mich gefragt: Würdest du so ein Abenteuer eingehen? Vorausgesetzt die Rahmenbedingen stimmen (Job, Familie, etc.). Eine sehr schwierige und interessante Frage zugleich. Ich würde es gerne mal machen, um es auszuprobieren. Erfahren, wie ich reagiere. Aber ob ich das jedes Jahr könnte, das weiß ich leider nicht…
Dieses Jahr wird es dennoch in die Schweiz gehen, nicht um auf die Kühe auf der Alm aufzupassen oder Käse zu machen. Nein, meine Frau und ich wollen mit unseren Kinder Urlaub machen. Und zwar Urlaub in Davos. Dort soll es super idyllisch sein und prima für Familien.
Mich hat dieser Artikel sehr beschäftigt und viele Fragen kamen mir in den Sinn. Da würde ich mal behaupten, dass der Artikel sehr gelungen war.
Vielen Dank und viele Grüße.
Super Artikel. Das zeigt wieder einnmal, dass zurueck zu den Wurzeln, oder zum arbeitsreichen, einfachen Leben, nicht immer falsch sein kann. Eine mutige, starke Frau!
LG Wilma