Selbst wenn es um frische Rohmilch geht, soll es der freie Markt wieder einmal richten! Was aber nicht ohne Tränen möglich sein wird. Über 70.000 Milchbauern in Deutschland, die von den Erlösen ihres Milchverkaufs nicht mehr leben können, stecken derzeit in echten existenziellen Nöten.
Mit ihnen selbstverständlich auch alle anderen Milchproduzenten in der europäischen Union. Seit Anfang April 2015, als die „Milchkontingentierung“ der europäischen Union fiel, hat sich die Situation der Milchbauern immer weiter zugespitzt. Ab diesem Zeitpunkt konnte jeder Bauer so viel Milch produzieren wie er wollte. Mit fatalen Folgen.
Dass ihnen wichtige Abnehmer wie Russland (Embargo) oder China (wirtschaftlich schwächer geworden) weggebrochen sind, hat die Sache nicht einfacher gemacht. Dabei gibt es Milchseen und Butterberge in Europa schon seit ich denken kann. Und das ist schon lange!
So sehen sie aus. Die Lieferanten unserer frischen Rohmilch. Sie können aus dem Stall einen Blick auf die Kunden riskieren.
Der Milchpreis fiel in der Zwischenzeit bereits auf unter 20 Cent je Liter, um kostendeckend zu arbeiten, gelten mindestens 35-40 Cent als nötig. Den Liter Vollmilch gibt es bei Aldi & Co. derzeit aber bereits für 55 Cent. Alle die können, versuchten deshalb ihren Verdienstausfall damit zu egalisieren, dass sie ihre Betriebe weiter vergrößern und noch mehr Milch produzieren.
Was mich an der Aussicht so schockiert, es könne bald sehr viel weniger Betriebe geben, die uns Milch in den Supermarkt liefern, ist die Tradition, die damit verloren geht. Höfe, die seit Jahrhunderten existieren und das ländliche Erscheinungsbild unserer Umgebung geprägt haben, werden [plötzlich] sinnlos und verschwinden.
Frische Rohmilch für 70 Cent pro Liter in Rohr zapfen
Was einigen Bauern durch die Krise helfen könnte, ist die Direktvermarktung an den Endverbraucher. Kunden die bereit sind, höhere Preise für ihre Milch zu bezahlen gibt es schon immer und wird es immer geben. Allerding liegen zwischen Höfen und Stadtbewohnern naturgemäß oft viele Kilometer, die es nicht sinnvoll erscheinen lassen (mit derzeit billigem Benzin), Fahrten aufs Land zu unternehmen, um dort Milch für 70 Cent pro Liter zu erwerben.
Trotzdem sind wir am vergangenen Wochenende, etwa 20 Kilometer von unserer Haustür entfernt, im fränkischen Rohr (grob zwischen Schwabach und Heilsbronn gelegen), auf eine nie gesehene Art der Selbstvermarktung gestoßen. Dort hat sich Bauer Michael Winkler nämlich direkt neben seinen Stall einen Rohmilch-Automaten montiert, der dem Verbraucher ein bereits bekanntes „Drive-In“-Gefühl vermittelt. – Nur in ungewohnter Umgebung mit einem ungewohnten Produkt.
Rund um die Uhr kann hier seit Juli 2015 Frische Rohmilch gezapft werden!
Selbst ist der Mann! Frische Rohmilch aus dem Automat
Rohmilch-Automat in Rohr: Von der Kuh frisch in die Flasche
Michael Winkler, ein gelernter Kälte- und Klimatechniker mit eigenem Zwei-Mann-Betrieb, hat die Anlage direkt beim Entwickler in Stuttgart als Bausatz gekauft und selbst aufgestellt. Investiert hat er dafür rund 4.000 Euro.
Den Anstoß dazu erhielt Familie Winkler bei einem Urlaub am Chiemsee. Dort sind sie einem solchen Automaten erstmals begegnet – und waren schnell begeistert. Wer im Landkreis Fürth wohnt, kann übrigens in Oberasbach ebenfalls frische Milch direkt bei Familie Kleinlein zapfen.
Milchhaut? Wo gibts denn sowas?
In Rohr bei Familie Winkler erhält man unbehandelte Rohmilch von 70 Kühen, die in einem Laufstall untergebracht sind und deren Milch einen Fettgehalt von gut vier Prozent besitzt. Man erkauft sich mit der Milch aber nicht nur ein gutes Gewissen sondern auch Arbeit.
Wichtig zu wissen: Rohmilch sollte man nach dem Kauf zuhause kochen. Sie ist in keiner Weise bearbeitet. Die Milch wird in einer acht Meter langen Edelstahl-Leitung direkt von der Melkanlage in einen Behälter geführt, der mit einer weiteren Leitung mit dem Milch-Automaten verbunden ist. Die Winklers stehen natürlich mit ihrem guten Namen für die absolute Sauberkeit der gesamten Anlage.
Und noch ein Hinweis: Kaufen Sie nicht zu viel von der Milch aus der Rohmilch-Tankstelle. Rohmilch hält nämlich nur vier bis fünf Tage, dann wird sie sauer.
Was man nach dem Kauf der Milch erlebt, kennt man noch aus seiner Jugend (vorausgesetzt man ist etwa so alt wie ich selbst). Haut auf der Milch! – Da werden Ihre Kinder Augen machen – und womöglich protestieren. So wie Sie selber. Damals.
Frische Rohmilch? Bringen Sie bitte Kleingeld mit! Einen Wechselautomat gibt es hier nicht!
Frische Rohmilch aus dem Automaten in die Flasche. – Keine Flasche dabei? – Auch die kann man bei Familie Winkler direkt erwerben.
Weltmilchtag – Tag der Milch
Dass am heutigen 1. Juni 2016 Tag der Milch ist, ist übrigens Zufall. Der Internationale Tag der Milch findet bereits zum 59. Mal statt, wird in über 30 Ländern veranstaltet, und soll helfen, Milch als natürliches und gesundes Getränk weltweit zu bewerben. Was Milchgegner dazu sagen, kann man gleich nebenan nachlesen. Auf der Seite Sag Nein zu Milch.
Beschaulichkeit im fränkischen Örtchen Rohr:
Andere Themen von Interesse:
– Faszination Whisky – Zu Gast in der Whisky Erlebniswelt
Auch im Lilachtal gibt es so einen Milchautomaten: http://www.haenfling.de/milchtankstelle.html
Danke für den Hinweis
Toller Bericht. Ich habe aber noch zwei Anmerkungen: Rohmilch kann gefährliche Mikroorganismen enthalten, die zu ernsten gesundheitlichen Schäden führen können, aber Rohmilch ist auch sehr gesund und muss heutzutage aus professioneller Produktion nicht zwingend abgekocht werden. Und wenn die Milch gleich nach dem Melken gekühlt wurde, ist sie im Kühlschrank auch gut eine Woche und nicht nur 3-4 Tage haltbar.
Hallo Ilona,
danke. Das mit den Mikroorganismen ist schon klar. Aber ich gehöre zu der Sorte Mensch, die sich darum keine Sorgen macht. Die Wahrscheinlichkeit vom Blitz erschlagen zu werden oder im Straßenverkehr zu verunglücken ist ähnlich groß.
Trotzdem rate ich ja zum kochen der Milch!
Mit leckerem Gruß in die Schweiz
Peter
Sehr schön! Hier gibt es inzwischen schon zwei „Drive-Ins“ für Milch; einen hab ich schon aufgesucht. Ob es sich dort um Rohmilch handelt muß ich noch nachrecherchieren…. Und auch auf der Alb, oben beim Zweithaushalt, gibt es frische Milch im Direktverkauf- Bericht folgt! Die Milch, die schmeckt…. wie früher, als wir mit der Kanne zur Milchfrau gegangen sind.
Hier läßt sich die Zapf-Tour mit einem Einkauf bei anderen Direktvermarktern verbinden, und ist alles eh nicht so weit weg.
Danke Anna,
du lebst halt doch fast im Paradies ;-)
zumindest in einem Zipfelchen vom Schlaraffenland….