Mein Aufenthalt in der Ohlstadtklinik

Standkonzert in Ohlstadt am 21. August 2017

Berufliche Rehabilitation ist ein sperriger Begriff, den der Otto Normalverbraucher in Deutschland gemeinhin mit „Reha“ abkürzt. Der schönere Begriff war einst die „Kur“, der aber in diesem Zusammenhang nicht mehr genutzt wird.

Selbst der Kurschatten wurde aus unserer Sprachwelt bugsiert und durch die „Sternschnuppe“ ersetzt. Was in der kleinen Liebelei, die sich so manche(r) wünscht, nichts anderes bedeutet als: heute bist Du mein Stern, morgen bist Du mir schnuppe!

Die Welt der Kur, wie sie früher einmal war, gibt es heute nur noch an wenigen echten Kurorten, wie zum Beispiel in Bad Kissingen.

Dort zieht sich wenigstens ein Teil der Kurgäste am Nachmittag noch schick zum Tanztee an und schiebt seine Tanzpartner(in) zu Livemusik über das Parkett. Böse Zungen nennen das Mumienschieben!

Am Wochenende geht man ins Spielcasino, es finden Kurkonzerte statt, aussterbende Generationen flanieren im Kurpark, sitzen im Cafè, zeigen Frisur, Schmuck, Garderobe und trinken salziges Wasser in der hübschen Trinkhalle die noch unter König Ludwig I. im Stil des bayerischen Klassizismus errichtet wurde.

Trotzdem wird der Niedergang all dieser Einrichtungen nur schwer aufzuhalten sein.

Damals, beim Tanztee in Bad Kissingen
Damals, vor etlichen Jahren beim Tanztee in Bad Kissingen

Die Ohlstadtklinik im Werdenfelser Land

In den Genuss einer Reha gelangt man meist nach (sehr) langem Genehmigungsverfahren maximal alle vier Jahre. Voraussetzung ist ein entsprechendes Leiden, zu dem der Hausarzt bereits alle Register gezogen hat und der Patient als austherapiert gilt.

Nur Menschen mit chronischen Leiden haben die Chance auf einen kürzeren Zeitraum zwischen zwei Rehas. Selbstverständlich bekommen frisch operierte Patienten die Option einer Reha vorrangig angeboten.

Die Ohlstadtklinik im Werdenfelser Land
Die Nordostseite der kleinen Ohlstadtklinik mit ca. 150 Patienten

Die Südwestseite der Ohlstadtklinik
Die Südwestseite der Ohlstadtklinik.

Die Ohlstadtklinik

Die wirklich fantastisch, im oberbayerischen „blauen Land“, gelegene Ohlstadtklinik wird zum Großteil durch fränkische Patienten beschickt, weshalb auch ich das Glück hatte hier zu landen.

Es ist nicht weit zum Kochel- und Walchensee, nach Murnau und dem Staffelsee. Der höchste Berg am Ort ist der 1.790 Meter hohe Heimgarten, aber auch Kloster Ettal, Oberammergau, Garmisch Partenkirchen und die Zugspitze sind als Ausflusziele von hier zu erreichen.

Schwerpunkt des Behandlungsspektrums in der Ohlstadtklinik sind Erkrankungen des Bewegungssystems, wie zum Beispiel des hundsgemeinen Bandscheibenvorfalls.

Rückenschmerzen sind bekanntlich ein großes Übel in unserer Gesellschaft, weshalb alleine die deutsche Rentenversicherung 20 Millarden Euro im Jahr für Behandlung und Linderung ausgibt.

Der Garten der Ohlstadtklinik
Der Garten der Ohlstadtklinik

Berühmt wurde Ohlstadt aber durch die „Terrainkur“, auch Ohlstadtkur genannt. Eine Herz- und Kreislauftherapie, die sich an Pfarrer Kneipp orientiert. Selbstverständlich wird mit diesen Patienten in der herrlichen Gegend gewandert, gewandert und nochmals gewandert!

Die anderen Rehalinge dürfen sich zunächst durch eine beliebte morgendliche Gymnastikrunde auf der grünen Wiese kämpfen, die mit einem möglichst lauten „HauRuck“ aus ca. 50 Kehlen bereits um acht Uhr morgens endet. Alle Kühe und Einwohner der Ortschaft sind nun wach, Zeit fürs Frühstück.

Morgengymnastik auf dem grünen Hügel

Morgengymnastik
Morgengymnastik auf dem grünen Hügel mit dem beliebten „HauRuck“ am Ende. Was im Hintergrund aussieht wie ein See ist nur ein bisschen Morgennebel auf den Feldern

Den Rest des Tages verbringt man eventuell mit einer intensiven Rückenschule, mit Aqua- oder Individual-Gymnastik, Massagen, Kneippgüssen, Sauna, Fangopackungen, häufigem Aufenthalt im MTT¹, interessanten Vorträgen oder Kursen wie Basis Fit, bei denen sich Therapeuten und Patient um seine teilweise verschobenen Knochen kümmert.

Bewegung heißt das erste Zauberwort.

Wurde man vor wenigen Jahren nach dem Bandscheibenvorfall noch mit Muskelentspannern und Schmerzmitteln schwerster Kaliber in einen absoluten Ruhezustand gebombt, macht man heute genau das Gegenteil. Muskelaufbau ist das zweite Zauberwort.

Für seine geistige Erbauung sollte man während des Aufenthalts unbedingt selber sorgen. Die Qualität des Fernsehprogramms ist auch dann unterirdisch, wenn man den Apparat im eigenen Zimmer einschaltet.

Bewertung der Ohlstadtklinik

Was die Bewertungen der Ohlstadtklinik im Internet angeht, so ist es wie mit jedem normalen Urlaubsquartier. Manche Menschen die Äußerungen in Bewertungsportalen hinterlassen, sind gar nicht in der Lage zu differenzieren zwischen bekannten Sach- und Budgetzwängen einerseits und ihren Ansprüchen bzw. Erwartungen andererseits.

In Ohlstadt gibt es auch ein Lourde-Grotte (vom Friedhof aus zu erreichen)
In Ohlstadt gibt es auch ein Lourde-Grotte (vom Friedhof aus zu erreichen)

Der Unterschied zwischen einem Hotel und einer Klinik muss manchen neu ankommenden Patienten tatsächlich erst mühsam beigebracht werden. – Was man unbedingt im Auge haben sollte: Trotz aller Marienverehrung und der zahlreichen Wegkreuze im nahen Umkreis: Wunder werden hier keine vollbracht!

Die normale Reha wird heute meist auf drei Wochen angesetzt, erst die Ärzte vor Ort entscheiden über eine Verlängerung auf vier oder gar mehr Wochen. An- und abgereist wird von Dienstag bis Freitag, was selbst in einem relativ kleinen Haus wie der Ohlstadtklinik zu etwas Verwirrung auf den Fluren führen kann.

Kaum hat man sich an seinen Zimmernachbarn gewöhnt, schon ist er wieder weg.

Meinen Nachbarn zur Linken habe ich übrigens gar überhaupt nie gesehen. Nur gehört. Tagsüber hat er sehr, sehr häufig laut telefoniert und nachts sägte er leise und klammheimlich etliche von den vielen Holzstößen, die es hier in der Gegend gibt, zu exakt passenden Ofenscheiten.

Ein armer Tropf also, der gar nicht richtig hier war.

Als vielleicht minder schwerer Fall fand ich die Betreuung durch Ärzte und Therapeuten unter dem Strich sehr gut, wobei es dem einzelnen scheinbar nicht mehr möglich ist, die Übersicht über seine Schäfchen zu behalten (siehe oben).

Wie mir Patienten erläuterten, die schon mehrfach in den Genuss eines Ohlstadtklinik-Aufenthalts kamen, haben Rotstifte des Controllings bereits etliche Lücken in der individuellen Betreuung hinterlassen.

Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen. Bei dem ersten Gespräch mit der zuständigen Ärztin wurde mein Wochen-Therapieplan mit Anwendungen gespickt die mir und meinen Schmerzen gut taten.

Blick vom Gipfel des Heimgarten in 1.790 Metern Höhe
Blick vom Gipfel des Heimgarten in 1.790 Metern Höhe. Links der Kochelsee, rechts der Walchensee

Kein Urlaub, aber die totale Entlastung

Als ganz und gar wunderbar an einer Reha, schätze ich ohnehin die vollkommene Entlastung von allen alltäglichen Dingen.

Man muss weder für andere sorgen, muss nicht pendeln, nicht arbeiten, nicht einkaufen oder kochen, ist keinem Stress ausgesetzt, kann sich nur um sich selbst und seine jeweiligen Befindlichkeiten kümmern und sogar die miserable Internetleitung gehört wahrscheinlich zum Programm.

Für all das, was man nicht getan hat, bekommt man drei Mahlzeiten täglich serviert, wobei die leer gegessenen Teller sogar (noch) abgeräumt werden.

Aber die Tatsache, dass man die gebotenen Therapien und Aktivitäten zum eigenen Nutzen mitmacht ist nicht für jeden Probanden selbstverständlich. Rehalinge, die sich durch ihre Verweigerungshaltung auszeichnen gibt es überall, abendliche Trinkrunden in nahen Gaststätten besitzen einen hohen Stellenwert.

Die oft gelesene Kritik, an dem, für die Reinigung der Zimmer zuständigen, externen Dienstleister muss ich allerdings bestätigen. Obwohl die Wagen mit frischen Handtüchern und Reinigungsmitteln stundenlang auf den Fluren stehen: der Effekt im eigenen Zimmer beschränkt sich alltäglich auf ein bisschen Huschhusch im Badezimmer.

Eiskaffee und ein Stück Kuchen gehören natürlich nicht zum Ernährungsschema der Einrichtung
Ein Eiskaffee und das Stück Kuchen gehören natürlich nicht zum Ernährungsschema der Einrichtung

Und was gibt es zu essen?

Als Foodblogger will ich mich über das Essen im Detail nicht äußern. Es wird geliefert. Für die ca. 150 Patienten in der Ohlstadtklinik gibt es kein Küchenteam mehr im Haus.

Man sollte aber folgendes bedenken:
sitzt man mit vier bis sieben Leute, die sich vorher nie gesehen haben, zusammen an einem Tisch, ist das Hauptgespräch natürlich das, was den Leuten serviert wird. Flugs fällt jedem etwas ein, was ihm nicht passt, und schwupps ist das Gericht des Tages mies geredet.

Das Mittagessen fand ich meist ganz gut, Menschen die sofort zum Salz greifen ohne überhaupt probiert zu haben, gibt es sogar unter meinen privaten Gästen.

Auffallend fand ich die Diskrepanz zwischen dem, was die Ernährungsberaterin des Hauses, Frau Schwinghammer, in ihrem Vortrag vertrat (was sich übrigens in allen Bereichen mit meinen eigenen Anschauungen zu einer gesunden Ernährung deckte), und dem was im Speisesaal serviert wird.

Begonnen beim „Saft“ aus dem AromaSave, Halbfettbutter, zum Dessert oder Frühstück gab es etliche Male Fruchtsalat aus der Dose oder auch fertigen Fruchtjoghurt.

Über die Zuckerzufuhr der Klinikinsassen sollte wirklich nicht der kaufmännische Leiter entscheiden!

Aber man kann vegetarisch essen, man kann einen Reis- oder Obsttag einlegen und es gibt eventuell sogar verordnete Ernährungsberatung.

Frau Schwinghammer hat übrigens versprochen, dass das früher so beliebte abendliche Büffet wieder eingeführt wird.

Bis es so weit ist noch ein Tipp zum Schluss: ich bin sehr gut damit gefahren, als Abendessen generell die vegetarische Variante gewählt zu haben. Diese war wesentlich abwechslungsreicher als die allabendliche Wurstorgie für Unentschlossene.

Mein Fazit: das Personal in der Klinik ist in jeder Beziehung zu loben. Von außen wäre dringend der Anstrich vieler Fassadenteile geboten.

Sollte es nötig sein, komme ich in vier Jahren gerne wieder und rufe morgens „HauRuck“!

Wanderung nach Eschenlohe
Wanderung nach Eschenlohe

Hinweis:
¹) MTT = Medizinische Trainingstherapie (und bedeutet Fitness-Studio)

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5 Kommentare zu “Mein Aufenthalt in der Ohlstadtklinik”

  • Das Essen wird in der Klinik unter dem Parkdeck u. Speisesaal zubereitet.
    Es kommt dann mit dem Aufzug in den Wägen nach oben.
    Die Küche sieht man gut wenn man vom Haupteingang Richtung Parkdeck innerhalb des Zaunes lang läuft.
    Ganz große Fenster zum rein sehen. Die Klinik bildet sogar Azubis aus in der Küche und im Med. Bereich.

    LG Mohnblume

  • Hallo Peter,

    habe mich endlich auf deine Seite gewagt, und voller Freude schon ein paar Artikel gelesen.

    Dein Ohlstadt-Bericht ruft unseren Reha-Aufenthalt wieder ins Bewusstsein zurück! Sehr trefflich vermittelst Du einen schönen Gesamteindruck der Reha in Ohlstadt. Im Gegensatz zu Dir, hat man Matthias und mir noch zwei weitere Wochen beschert. War eine schöne und sorglose Zeit, aber auch meine Käseglocke ist seit einer guten Woche wieder weg und ich bin im realen Leben längst wieder angekommen!

    Gruß Elisabeth

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