Warum ist das Sedlec-Ossarium voller Knochen?

[ Keine Werbung. Die Knochenkirche in Tschechien. Sedlec-Ossarium ]

Pressefoto von STEPAN VODICKA
Könnte man das Beinhaus Sedlec-Ossarium ohne all die anderen Touristen besuchen, wäre vielleicht auch mir ein solches Foto in der Knochenkirche gelungen. – © Pressefoto von STEPAN VODICKA

Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit dem Beinhaus Sedlec-Ossarium lautet schlicht und einfach: warum? Bevor wir uns um die Beantwortung weiterer Fragen kümmern, stellen wir zuallererst aber fest, dass Sedletz (tschechisch: Sedlec) ein Ortsteil des Touristenmagneten Kutná Hora (Kuttenberg) ist, welches mit seiner Knochenkirche etwa 70 km östlich von Prag liegt.

Kutná Hora selbst ist ein sehr hübsches Städtchen, dessen historischer Kern mit der im Vorort Sedlec liegenden Marienkirche seit 1995 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Hier finden Sie eine kurze Zusammenfassung meines Besuches dort.

Warum gibt es 40.000 Skelette im Sedletz-Ossarium? Die Knochenkirche in Tschechien

Die Antwort auf die erste Frage: „warum gibt es 40.000 Skelette im Sedletz-Ossarium?“, liegt sehr weit zurück, weshalb es sich um eine Legende handelt. Danach wurde um 1278 Jindřich (Heinrich) – damals Abt des Zisterzienser-Klosters Sedletz – vom böhmischen „König Ottokar II. Přemysl“ nach Jerusalem entsandt. Bei seiner Rückkehr brachte der Abt eine Handvoll Erde vom Kavalerienberg (Golgatha) mit und verteilte diese über den Klosterfriedhof.

Und schwupps – konnte die Begräbnisstätte zum heiligen Boden erklärt werden.

Der Friedhof entwickelte sich daraufhin zu einem sehr begehrten Platz für die letzte Ruhe in Mitteleuropa. Nicht nur Menschen aus der Umgebung von Sedletz oder ganz Böhmen, sondern auch Einwohner Bayerns, Polens und sogar aus den Niederlanden, legten Wert darauf, in dieser heiligen Erde bestattet zu werden.

In Sedlec begraben zu sein, so glaubten die Menschen damals, bringe sie der Auferstehung ein ganzes Stück näher. Eines Tages als Teil der Innendekoration in einer Knochenkirche zu enden, das hatte sicher keiner der hier Beigesetzten auf dem Plan.


Selbst die Kirchturmspitzen des Sedlac-Ossarium werden von Totenköpfen geziert.

Warum wurden hier so viele Menschen beerdigt?

Alte Chroniken geben an, dass hier, alleine während der großen Pest im Jahr 1318, etwa 30.000 Menschen beerdigt wurden. Aber auch allerlei Kriegsgetümmel im 15. Jahr­hundert forderte tausende von Opfern. Der Friedhof musste deshalb mehrmals erweitert werden und hatte seine größte Ausdehnung bei einer Fläche von cirka 3,5 Hektar.

Viele Menschen wurden damals einfach in Massengräbern verscharrt. An Material für die jetzige Dekoration in der Knochenkirche fehlte es daher nicht.

Sedletz-Ossarium - Pressefoto von Pavel Vacek
Das Beinhaus in Sedlec. Knochenkirche Sedlec-Ossarium – © Pressefoto von Pavel Vacek

Warum wurden so viele Knochen wieder ausgebuddelt?

Im Jahr 1421 brannten Hussiten das Kloster der Zisterzienser nieder und töteten an die 500 Mönche. Zu diesem Zeitpunkt war Kutná Hora die wichtigste böhmische Stadt nach Prag. Hier befand sich die Residenz der böhmischen Könige und eine wichtige Münzstätte.

Nach den Hussitenkriegen kam es zur schrittweisen Einebnung und Auflösung von Teilen des Friedhofs.

Wie man gängigen Informationsquellen über das Sedlec-Ossarium entnehmen kann, wurde erst im frühen 15. Jahr­hundert ein zweigeschossiges Kirchengebäude im gotischen Stil auf dem Friedhof errichtet. Während der Bauarbeiten wurden die Überreste vieler Toter exhumiert und im Untergeschoss des Kirchengebäudes eingelagert, das seither als Beinhaus genutzt wurde.

Angestrebtes Ziel war nicht nur der Kirchenbau, sondern eine Verkleinerung des gesamten Friedhofs. Weshalb die Exhumierung der Toten selbst nach dem Abschluss des Kirchenbaus fortgesetzt wurde.

Ab etwa 1511 legte ein damit beauftragter Zisterziensermönch die Gebeine systematisch im Ossarium zu sechs Pyramiden. Die Überreste von rund 40.000 Menschen wurden so in dem Beinhaus zusammengetragen.

Das Sedlec-Ossarium und seine Beschreibung
Das Sedlec-Ossarium und seine Details für die Knochenkirche in Tschechien in der Legende

Warum gibt es die makabren Skulpturen im Sedlec-Ossarium?

Im Jahr 1784 wurde, im Rahmen der von Kaiser Josef II. betriebenen Klosterauflösungen (josephinische Reformen), auch das Kloster in Sedlec aufgelöst.

Dass das Sedlec-Ossarium zu jenem bizarren Schmuckstück wurde, das es heute ist, verdanken wir der Fürstenfamilie von Schwarzenberg. Diese hatte das Anwesen im Jahr 1866 gekauft und 1870 den böhmischen Holzschnitzer František Rint damit beauftragt, die Inneneinrichtung neu zu gestalten.

Aber nicht Holz diente dem Meister Rint als Dekormaterial, sondern die im Beinhaus eingelagerten Knochen. Er desinfizierte sämtliche Gebeine und präparierte sie mit chlorhaltigem Kalk. Dadurch sind sie bis heute, fast 150 Jahre später, sehr gut erhalten und wirken als wären sie aus Gips.

Von den ursprünglich sechs Knochen-Pyramiden, die der oben erwähnte Mönch mühsam gestapelt hatte, trug er zwei komplett ab. Diese Knochen kamen bei der Ausschmückung der Kapelle zum Einsatz. Die übrigen Knochen, immerhin etwa 40 Kubikmeter, beerdigte er wieder in der Erde des Friedhofs.

Er verwandte die vorgefundenen Gebeine unter anderem dazu, recht makabre Skulpturen, Kronleuchter und ein Wappen der Familie Schwarzenberg zu schaffen, die heute noch im Ossuarium zu sehen sind. Ein gut drei Meter hoher, komplett knöcherner Kronleuchter hängt zwischen vier Säulen, auf deren Spitzen goldene Engel montiert sind.

Sedletz-Ossarium
Aus den Knochen wurden Dekoration und Einrichtungsgegenstände für das Kirchengebäude geformt.

Warum kam František Rint auf diese Idee?

Zwar scheint das Sedlec-Ossarium ein ganz besonderer Ort zu sein, Beinhäuser gibt es aber auch in Süddeutschland und in Österreich, dort als „Karner“ bekannt. Sehr bekannt ist die Capela dos Ossos, im portugesischen Evora.

Ebenfalls voller Knochen ist die Kapuzinerkrypta Santa Maria della Concezione in Rom. Ihre Berühmtheit verdankt sie der Tatsache, dass dort ebenfalls hunderte von Skeletten verarbeitet wurden. Schädel, Beckenknochen, Wirbel und Schulterblätter wurden zu Wanddekorationen, Blüten, und biblischen Darstellungen arrangiert.

Das (nach den Katakomben von Paris) zweitgrößte Ossarium Europas wurde jedoch erst 2001 in der tschechischen Stadt Brünn (Brno) entdeckt. Das Beinhaus bei der St.-Jakobs-Kirche zählt über 50.000 Tote, deren Knochen allerdings nicht so kunstvoll arrangiert sind wie im Sedletz-Ossarium in Sedlec.

Viel kleinere Knochenkirchen gibt es aber auch in der tschechischen Region Kraj Vysočina, in Mělník, etwa 20 Kilometer nördlich von Prag und in Czermna in Polen. Letztere liegt nur etwa 20 Kilometer von Rints Heimatstadt Česká Skalice entfernt.

Es bleibt nur zu vermuten, dass Rint schon mit den genannten Beinhäusern in seiner Region Berührung gekommen war, bevor er den Auftrag für die Gestaltung des Sedlec-Ossarium annahm. Vielleicht sprach sich aber von Rom bis nach Böhmen herum, was man mit Menschenknochen in einem Beinhaus anfangen könnte.

František Rint war nach seiner Schaffenszeit im Sedlec-Ossarium jedenfalls recht stolz auf sein Werk. Er formte an der Wand neben dem Treppenaufgang auch seinen Namenszug aus menschlichen Knochen und signierte damit seine Arbeit.

Im Sedlec-Ossarium – Sedletz-Ossarium

In der Knochenkirche von Sedlec in Tschechien. Der Holzschnitzer František Rint war mit der Ausschmückung des Kirchleins beauftragt und machte sich fleißig daran, den Altar mit Schädeln zu schmücken, Kreuze aus Knochen zu basteln und sogar einen Kronleuchter aus Gebeinen anzufertigen. Wer schon immer mal einen Kerzenständer aus Knochen sehen wollte, ist hier definitiv richtig.

Ossuary Kutná Hora – Sedlec
Sedletz-Ossarium Infocenter
Zámecká 279
284 03 Kutná Hora – Sedlec
Eintritt (2023): 160,- CZK
GPS: 49.961784, 15.288156

Öffnungszeiten:
Sonntag: 09:00-18:00 Uhr
April bis September: 09:00-18:00 Uhr
November bis Februar: 09:00-16:00 Uhr
März und Oktober: 09:00-17:00 Uhr

Der Legomann in Sedlec. Unweit der Knochenkirche in Tschechien.
Der Legomann gleich neben dem Sedlec-Ossarium ;-)

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2 Kommentare zu “Warum ist das Sedlec-Ossarium voller Knochen?”

  • Wahrlich auf den ersten Blick etwas makaber, aber er zeigt, dass Knochen und menschliche Überreste nicht unbedingt hässlich und gruselig sein müssen, sondern in dieser Kirche einen respektablen Ort gefunden haben, wo ihrer Schönheit gewürdigt wird. Vielen Dank Peter Spandl für diesen interessanten Beitrag.

  • Herzlichen Dank für diesen interessanten Bericht!
    Ehrlich gesagt, finde ich die Dekoration sehr gelungen. Angesichts der Tatsache, dass wir eh die meiste Zeit tot sind, muss man sich beim Anblick menschlicher Knochen nicht gruseln, sie stammen ja nicht von Massaker-Opfern.
    Gefällt mir wesentlich besser als von Hagens Körperwelten.

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