Im Wald von Guédelon stellen sich rund 50 Handwerker einer außergewöhnlichen Herausforderung: Sie erbauen seit 1997 in einem verlassenen Steinbruch eine Burg aus dem 13. Jahrhundert. – Angewendet werden nur Methoden, Materialien und Hilfsmittel der damaligen Zeit. Guédelon liegt mitten im französischen Département Yonne im Burgund.
Eine Reise dorthin lohnt sich definitiv, denn wer schon immer wissen wollte, wie unsere Vorfahren mit einfachen Mitteln eine stolze Burganlage bauen konnten: hier wird es erleb- und erfassbar.
Guédelon, die mittelalterliche Burgbaustelle
Baustellen zu besichtigen macht vielen Menschen Spaß, egal ob es sich um U-Bahn-Schächte, Hochhäuser oder Autobahnbrücken handelt. In Guédelon ist das Erlebnis aber „extraordinaire“, wie unsere französischen Nachbarn sagen würden.
Guédelon ist eine Baustelle der experimentellen Archäologie. Viele Fragen bezüglich des Burgenbaus, der Materialverwendung und des Bauarbeiter-Einsatzes waren von Anfang an offen. Indem vor Ort vorhandene Materialien eingesetzt werden, wird Fachwissen wiederentdeckt und auf der Basis von Hypothesen zum Bauen experimentiert. Die Devise lautet deshalb: bauen um zu verstehen!
Die Burg Guédelon wird seit 1997 errichtet und ist somit eine „neue“ Burg. Sie ist durch den Architekturkanon von Philipp II. August, dem sogenannten Baukönig (1165-1223), inspiriert. Der fiktive Baubeginn von Guédelon wurde deshalb in das Jahr 1229 gelegt. – Doch warum baut man im 21. Jahrhundert eine Burg aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts?
Ein Blick ins Mittelalter: Burgbau live
Guédelon ist ein großartiges Archelogie-Experiment, dessen Fertigstellung für 2025 geplant ist!
Wir bauen eine neue Burg mit Mitteln des Mittelalters
Um die größtmögliche Plausibilität zu erreichen, wurde ein historisches Szenario entwickelt, das die Wahl der architektonischen Gestaltung beeinflusst. Besonders wichtig ist die bereits genannte Referenzperiode. Wie man in dem Infoblatt nachlesen kann, das jeder Besucher ausgehändigt bekommt, war auch der soziale Kontext wichtig: Wer ist überhaupt der hypothetische Auftraggeber von Guédelon?
Daraus resultiert natürlich die Größe der Burg, die Wahl bestimmter Architekturelemente und die Verwendung von diesem oder jenem Material. Das alles war abhängig vom Rang des Bauherren in der Lehenshierarchie, seiner Macht und seinem Reichtum.
Schließlich wurde ein Vorgehen festgelegt, um die Konstruktionsmethoden auszuwählen. Sie bestand darin, eine gewisse Anzahl an Burgen der Referenzperiode zu „befragen“.
Unter diesen wird auf einige Schlösser/Châteaus in der Nähe verwiesen. Zum Beispiel auf Schloss Ratilly, Château La Motte-Josserand, Saint-Verain und neben einigen anderen noch Druyes-les-belles-Fontaines.
Die ikonographischen (Glas- und Buchmalereien, Mosaiken, Fresken, Flachreliefs etc.), literarischen (Bauabrechnungen, historische Berichte etc.) und archäologischen Quellen (Grabungsergebnisse) liefern ebenfalls präzise Hinweise.
Frankreichs schönste Baustelle: Guédelon
Diese Burg gehört wohl zu einer der schönsten Baustellen Europas. Es ist hochinteressant zu sehen wie dieses Bauwerk entsteht. Jedes „Gewerk“ hat seine eigene Hütte, hier werden Steine behauen, dort wird Kalk gebrannt, Seile geflochten, Holzteile zugesägt und und und. Zum Transport dienen unter anderem Pferde und der Kran um Bausteine auf den Turm zu transportieren wird über ein Laufrad betrieben. Exakt so wie damals.
Holz für die Gerüste wird im umliegenden Wald geschlagen, Bruchsteine werden in dem alten Steinbruch, in dem sich die Baustelle befindet, mit einfachen, zeittypischen Werkzeugen gebrochen und mit Pferdewagen zu den Steinmetzwerkstätten transportiert.
Der benötigte Mörtel wird aus Sand, Ton und gelöschtem Kalk hergestellt. Mörtel und Steine werden in handgefertigten Körben an den Bau gebracht. Unter der Leitung von Michel Guyot arbeiten 50 hauptberufliche Handwerker, mit bis zu 16 Freiwilligen in der Hauptsaison. Sie alle tragen mittelalterliche Gewänder.
Ein absolutes Muss im Burgund-Urlaub
Bei aller Begeisterung für dieses Projekt: Die Sicherheit und Gesundheit der Handwerker wird durch Sicherheitsschuhe, Schutzbrillen, moderne Umlenkrollen usw. garantieren.
Zulieferer an der Baustelle sind Handwerker, die unter anderem Dachschindeln, Körbe, Töpferwaren, Fliesen, Nägel, Werkzeuge, Seile, Balken, Wolle und Kleidung herstellen; außerdem werden Pferde, Schafe, Schweine, Gänse, Hühner und Enten gehalten.
Nägel werden in der örtlichen Schmiede von Hand geschmiedet. Einige Rohmaterialien werden angeliefert, zum Beispiel Roheisen von eher geringer Qualität (kein Stahl) oder besagter gelöschter Kalk, da dessen Herstellung vor Ort zu gefährlich wäre. Ausnahme sind auch die Baugerüste, da sie aus Sicherheitsgründen aus mit modernen Methoden bearbeitetem Holz bestehen und mit Metallschrauben verbunden sind.
Guédelon – Die Skizze zeigt den Zustand der Burg im Jahr 2019, meine Fotos 2022
A Kapellenturm, B Bergfried, C Palas, D Eckturm mit Taubenschlag, E Östlicher Eckturm, F Pultdach, G Ausfallpforte, H Escarpen (Fundament, abgeschrägt), I Ziehbrunnen, J Holzgalerie, K Tor
Der Infoskasten
Die Arbeiten ruhen von November bis März. In dieser Zeit ist die Baustelle auch für Besucher geschlossen.
Im Oktober 2022 ist am Dienstag und Mittwoch geschlossen.
Tickets: Kinder (von 5 bis 17 Jahren) 11 €, Erwachsene 14 €
Internet: guedelon.fr
Die Finanzierung von Guédelon
Guédelon ist ein privates Unternehmen. Zunächst wurde das Projekt von Kritikern als unseriös abgetan. Als die Ernsthaftigkeit, Wissenschaftlichkeit und der Baufortschritt erkannt wurden, förderten der französische Staat und die Europäische Union Guédelon mit 2,5 Millionen Euro. Seit dem Auslauf dieser Förderung trägt sich das Projekt durch Spenden, Eintrittsgelder, Merchandising und Gastronomie.
Ein Steinmetz bei der Arbeit
Im Inneren der Burg könnte schon gefeiert werden!
Auch ein beliebter Punkt bei Baustellenrundgang in Guédelon: die Schmiede. Hier werden Nägel und andere Metallteile geschmiedet
Es wird Gemüse angebaut und ein paar Tiere werden gehalten. Selbstversorgung im Mittelalter
Bei den Zimmerleuten in Guédelon ist gut zu erkennen, was gerade hergestellt wird.
Der Kalkbrenner bietet mit seinem schwarzen Feuerqualm ein beliebtes Spektakel, obwohl nicht klar ist, worin seine Tätigkeit besteht
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